Anspruch des VN auf Neubemessung der Invalidität – Belehrung des VN, Verjährung
1. In der Unfallversicherung ist der VN über das Recht der Neubemessung mit der Leistungsabrechnung zu belehren, eine Belehrung in einem Informationsblatt zur Unfallanzeige oder eine Belehrung des Versicherten genügt nicht.
2. Die Verjährungsfrist des Anspruchs auf Neubemessung beginnt erst zu laufen mit der Beendigung der nötigen Erhebungen des VR zur Feststellung des Versicherungsfalls und des Leistungsumfangs.
3. Der Anspruch auf Neubemessung setzt nicht voraus, dass dem Anerkenntnis des VR eine ausreichende ärztliche Feststellung i. S. v. Ziff. 2.1.1.1. AUB vorausgegangen ist.
LG Schweinfurt , Urt. v. 18. 9. 2018 – 24 O 573/16
Aus den Gründen:
II. Der Kl. kann nach § 188 VVG iVm Ziff. 2.1., 9.4. AUB im Wege der Neubemessung des Grades der Invalidität über den bereits erhaltenen Betrag von 7.770 EUR die Zahlung einer weiteren Kapitalzahlung wegen Invalidität in Höhe von 7.700 EUR verlangen.
1. Voraussetzung einer Neubemessung ist, dass eine Erstfeststellung des Grades der Invalidität durch Anerkenntniserklärung des VR oder gerichtliche Entscheidung gegeben ist (Jacob in BeckOK, VVG, Marlow/Spuhl, 3. Edition, Stand 30. 6. 2016, vor § 188 Rn. 1).
a) Im vorliegenden Fall ist mit Schreiben v. 26. 10. 2011 eine Erstfestsetzung des Invaliditätsgrades erfolgt, da die Bekl. in diesem Schreiben abschließend und umfassend zu erkennen gegeben hat, inwieweit und weshalb eine Entschädigungspflicht anerkannt oder abgelehnt wurde.
b) Ob dem Anerkenntnis eine ausreichende ärztliche Feststellung im Sinne von Ziff. 2.1.1.1. AUB vorausgegangen ist, ist im Rahmen der Neubemessung keine Anspruchsvoraussetzung. Selbst wenn, läge diese aber auch vor. Die rechtzeitige ärztliche Feststellung hinsichtlich der eingetretenen Invalidität liegt mit der Erklärung der Unfallklinik M v. 14. 10. 2011 vor. Dort wird festgestellt, dass erstmals am 5. 9. 2011 ein Dauerschaden festgestellt worden sei, der in einer Bewegungseinschränkung und einem Belastungsschmerz der linken Schulter bestehe. Die Feststellung erfolgte ausweislich des vorhandenen Stempels von der BG Klinik; das Formular wurde entgegen der Behauptung der Bekl. nicht von der versicherten Person ausgefüllt und unterzeichnet.
2. Der Kl. hat sein Recht auf Neubemessung wirksam und fristgerecht ausgeübt.
a) Die Ausübung seines Neubemessungsrechts ist seitens des Kl. im Jahr 2015 jedenfalls vor dem 11. 3. 2015 ausgeübt worden, …
b) Das Neubemessungsverlangen erfolgte zwar nicht innerhalb der von § 188 VVG vorgesehenen Dreijahresfrist bis 27. 10. 2013. Allerdings kann sich die Bekl. auf eine Verfristung des Neubemessungsverlangens nicht berufen (§ 188 Abs. 2 Satz 2 VVG). Der Kl. wurde nicht ordnungsgemäß auf sein Recht zur Neubemessung (§ 188 Abs. 1 VVG) hingewiesen.
Die Belehrung über das Recht der Neubemessung ist nach § 188 Abs. 2 Satz 1 VVG mit der Leistungsabrechnung gegenüber dem VN zu erteilen. Dies ist nicht erfolgt.
Der zuvor erteilte Hinweis auf das Recht der Neubemessung innerhalb des Informationsblattes zur Unfallanzeige genügt diesen Anforderungen nach dem eindeutigen Wortlaut des § 188 Abs. 2 Satz 1 VVG nicht.
Ausreichend ist auch nicht der an V (der Versicherte) dazu erteilte Hinweis im Schreiben v. 26. 10. 2011. Dies gälte selbst unter dem Gesichtspunkt, dass die versicherte Person auf Wunsch des VN und mit Kenntnis des VR den Schaden gänzlich eigenverantwortlich abwickelt. In diesen Fällen wird zwar unter bestimmten Voraussetzungen eine Belehrungspflicht auch gegenüber dem Versicherten gefordert (zu § 186 VVG vgl. OLG Saarbrücken, Urt. v. 13. 1. 2016, 5 U 13/15, r+s 2017, 432, Rn. 64 mwN). Umgekehrt ist aber festzustellen, dass es der materielle Anspruch des VN ist und bleibt, der bei fehlender oder unzureichender Belehrung des zu seiner Geltendmachung allein berechtigten VN gefährdet würde.
Zudem ist vorliegend aber nicht einmal ersichtlich, dass der Schaden eigenverantwortlich über V abgewickelt werden sollte. In der Unfallanzeige wird lediglich angegeben, dass die Auszahlung der Versicherungssumme an die Versicherte erfolgen soll. Eine nur an die Versicherte zu richtende Korrespondenz ergibt sich aus den dem Gericht vorliegenden Unterlagen nicht. Im Hinblick auf die Schreiben der Bekl. v. 10. 1. 2011 und 14. 9. 2011, die sie unmittelbar an den Kl. gerichtet hat, dürfte sie von einer ausschließlichen Abwicklung des Schadensfalls über V selbst nicht ausgegangen sein.
Schließlich ist aber auch nach dem eindeutigen Wortlaut des § 188 Abs. 2 Satz 1 VVG die Belehrung an den VN zu richten, so dass ein hiervon abweichendes Vorgehen § 191 VVG zuwiderläuft.
3. Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme ist festzustellen, dass sich der Gesundheitszustand von V zum Neubemessungsstichtag des 27. 10. 2013 (drei Jahre nach dem Unfall v. 27. 10. 2010) gegenüber jenem Zustand verändert hat, der in die Entscheidung der Bekl. v. 26. 10. 2011 eingeflossen ist. Aufgrund des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. D ist das Gericht davon überzeugt, dass bei V im Bereich der linken Schulter als Funktionsbeeinträchtigung des Armes gesundheitliche Verschlechterungen in der Zeit nach dem 27. 10. 2011 und vor dem 27. 10. 2013 eingetreten sind und somit noch nicht in die Erstbemessung eingeflossen sind. (wird ausgeführt)
4. Der Anspruch ist auch durchsetzbar, Verjährung ist nicht eingetreten.
Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag verjähren innerhalb der Regelverjährung von 3 Jahren, § 195 BGB. Dabei beginnt die Verjährungsfrist nach § 199 BGB zu laufen mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
In der Rspr. scheinen nach neuer Rechtslage zur Verjährung von Ansprüchen aufgrund des Neubemessungsrechts bislang keine Entscheidungen ergangen bzw. veröffentlicht worden zu sein. In der Literatur finden sich lediglich (unterschiedliche) kurze Hinweise, welche Folgen im Falle der unterbliebenen Belehrung eintreten. So findet sich beispielsweise, der VN könne dann ohne zeitliche Grenzen eine Neubemessung verlangen und der VR könne sich nicht auf Verjährung berufen (Grimm, Unfallversicherung, 5. Auf- lage, AUB 9 Rn. 6, AUB 15 Rn. 6 a. E.) oder aber der VN könne auch noch nach Ablauf der Dreijahresfrist Neubemessung verlangen, begrenzt allerdings durch die Regelungen der Verjährung und Verwirkung (Naumann/Brinkmann, VersR 2013, 674, 678; Marlow/Spuhl, Das Neue VVG kompakt, 4. Auflage, Rn. 1278).
Jedenfalls aber wird es bei der Frage, auf welchen Zeitpunkt für den Beginn einer etwaigen Verjährung abzustellen ist, nicht darauf ankommen können, dass V von den von ihr behaupteten Verschlechterungen im Jahr 2012 erfahren haben will und grundsätzlich bereits zu diesem Zeitpunkt ihre Ansprüche klageweise durchsetzbar waren. Analog zu den im Erstbemessungsverfahren geltenden Grundsätzen (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 13. 3. 2012 – IV ZR 40/01, r+s 2002, 217) wird die Entstehung des Anspruchs erst mit Beendigung der zur Feststellung des Versicherungsfalls und des Umfangs der Leistung des VR nötigen Erhebungen angenommen werden können. Nachdem der Kl. seinen (wegen § 188 Abs. 2 Satz 2 VVG nicht verfristeten) Neubemessungsantrag erst im Jahr 2015 gestellt hat und die Bekl. diesen am 11. 3. 2015 zurückgewiesen hat, beginnt die Verjährungsfrist erst zum 1. 1. 2016 zu laufen, so dass Verjährung zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht eingetreten war.
Selbst wenn man auf den Ablauf der Neubemessungsfrist als relevanten Zeitpunkt für den Verjährungsbeginn abstellen will, d. h. dem 27. 10. 2013 (vgl. noch zur alten Rechtslage OLG Saarbrücken, Urt. v. 12. 11. 2008 – 5 U 215/08, Rn. 78), wäre Verjährung bei Klageerhebung noch nicht eingetreten.
(r+s 2019, 722, beck-online)